- Der potentiale Konjunktiv
- § 160. Alle vier Zeitformen des präteritalen Konjunktivs (Präteritum, Plusquamperfekt, Konditionalis I und II) dienen zum Ausdruck einer irrealen bedingten Möglichkeit (der Potentiale Konjunktiv). Das Präteritum und der Konditionalis I bezeichnen einen Vorgang, dessen Verwirklichung vom Redenden als mehr oder weniger unwahrscheinlich empfunden wird.Ruth?.. Er wußte doch gern, wie sie lebte, wie es ihr ging und — wie sie aussah. (W. Bredel)So recht vorbereitet war nichts, er würde ganz gerne noch so sechs oder acht Wochen bleiben... (H. Fallada)In dem allgemeinen Durcheinander und der Aufregung würde sie kaum vermißt werden. (W. Bredel)Anmerkung. Besonders häufig wird der Konditionalis I von schwachen Verben gebraucht, deren Präteritum mit dem des Indikativs übereinstimmt.Das Plusquamperfekt Konjunktiv bzw. der Konditionalis II (selten) bezeichnen einen Vorgang, dessen Verwirklichung vollkommen unwahrscheinlich ist; die Möglichkeit der Verwirklichung liegt oft in der Vergangenheit.Diederich beeilte sich, ihr einen Stuhl zu holen; aber in Wirklichkeit wäre er lieber mit Bück allein gewesen... (H. Mann)Marcel hätte sich gerne an diesen Gesprächen beteiligt, doch er getraute sich nicht. (W. Bredel)Das Plusquamperfekt Konjunktiv wird meist gebraucht, wenn im Satz die Adverbien fast bzw. beinahe vorhanden sind.Fast wäre er an dem Haus, in dem der Weber Emile Burzot wohnte, vorbeigelaufen. (W. Bredel)Rumpf lachte. „Beinahe hätte ich den Grund Ihres Besuches vergessen“, begann er von neuem. (B. Kellermann)Anmerkung. Der entsprechende russische Satz enthält die Negation не; vgl.:Румпф засмеялся. „Я чуть не позабыл о цели вашего прихода“, — снова начал он.§ 161. In einigen Fällen haben die Zeitformen des präteritalen Konjunktivs die ihnen sonst eigene Bedeutung der Irrealität nicht. Man gebraucht sie:1. zum Ausdruck einer Behauptung, die vom Redenden aus Höflichkeitsgründen als eine Annahme, ein Vorschlag hingestellt wird (der sogenannte diplomatische Konjunktiv);„Es wäre an der Zeit, daß der Gemeinderat unsere Geschicke in die Hand nimmt.“ (W. Bredel)„Die Ereignisse, die ich Ihnen berichtet habe, dürften für sich sprechen.“ (K. Herrmann)2. in Feststellungen (häufig mit emotionaler Färbung), in denen der Abschluß einer Handlung als Resultat begrüßt wird (der sogenannte konstatierende Konjunktiv);„Da wären wir alle beisammen“, bemerkte der Advokat... (H. Mann)Als er einmal das Buch ganz auf die Knie herabsinken ließ und hinauf in den blauen, sonnigen Himmel blinzelte, sagte er zu sich: Das wären nun dreißig Jahre. (Th. Mann)Manchmal haben solche Äußerungen einen ironischen Beiklang.So hätte ich mich dennoch an Goethe festgeschwatzt. (H. Heine)„Da haben wir uns ja schön hereinlegen lassen“, erzählte er der Hündin Caprice, „da wären wir ja schön hereingefallen.“ (L. Feuchtwanger)Da hätten wir die Bescherung!3. im Fragesatz, dessen Inhalt vom Redenden als zweifelhaft und unwahrscheinlich empfunden wird. Häufig gehen solche zweifelnden Fragen in Ausrufe der Verwunderung und des Unwillens über.Claudia: Räuber wären es gewesen, die uns anfielen? — Mörder waren es; erkaufte Mörder! (G. E. Lessing)Hinrich Willmers sprang auf. „Was sagst du da? Steeven hätte Carl denunziert?“ (W. Bredel)(Über den Gebrauch des Konjunktivs in den Nebensätzen siehe die entsprechenden Paragraphen der Syntax.)
Грамматика немецкого языка. 2-е издание. М. Г. Арсеньева, Е. В. Гасилевич, А. А. Замбржицкая, Р. А. Терешенкова, И. А. Цыганова.